Aus aktuellem Anlass, habe ich mich entschlossen, ein weithin unbekanntes Phänomen näher zu beleuchten. In diesem Blogbeitrag versuche ich zu untersuchen, wie Trauma und emotionaler Stress bei Kindern zur Entwicklung von (selektivem) Mutismus beitragen können und welche Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Sprechstörungen bei Kindern können aus verschiedenen Gründen auftreten, einschließlich Traumata und emotionaler Belastung. Eine dieser Sprechstörungen ist Mutismus, eine Störung, bei der Kinder bzw. Jugendliche nicht sprechen, obwohl sie dazu in der Lage sind oder in bestimmten Situationen „verstummen“ (selektiver Mustismus). Mutismus ist ein ernstes Problem, das sowohl das tägliche Leben der Kinder und Jugendlichen als auch ihre soziale Entwicklung sehr stark beeinträchtigen kann.
Mutismus ist oft das Ergebnis von traumatischen Ereignissen oder emotionalen Stressfaktoren, die das Kind überwältigen. Diese Ereignisse können sehr verschieden sein, z.B. ein Unfall, der Verlust eines geliebten Menschen, Vernachlässigung oder schwere Krankheiten sowie in wenigen Fällen Missbrauch. Kinder können auch durch Veränderungen in ihrer Umgebung, wie Umzug oder Trennung der Eltern, belastet werden. Diese Ereignisse können zu einem Gefühl der Hilflosigkeit und Angst führen, das sich auf das Sprechverhalten des Kindes/des Jugendlichen auswirken kann.
Mutismus kann sich auf verschiedene Weise manifestieren, von kompletter Stille bis hin zu selektivem Sprechen in bestimmten Situationen (selektiver Mutismus). Die meisten Kinder mit Mutismus verstehen die gesprochene Sprache und können nonverbale Kommunikation verwenden, wie zum Beispiel Gesten, um sich auszudrücken. Allerdings können diese Kinder Schwierigkeiten haben, soziale Beziehungen aufzubauen und Freundschaften zu knüpfen.
Wenn ein Kind ein Trauma erlebt, kann es sein, dass es sich zurückzieht und nicht mehr sprechen möchte. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn das Kind zuvor keine Schwierigkeiten beim Sprechen hatte. Das Kind kann sich schämen oder Angst haben, über das Erlebte zu sprechen. Wenn dies über einen längeren Zeitraum geschieht, kann sich der Mutismus manifestieren und chronisch werden.
Eltern sollten daher darauf achten, ob ihr Kind nach einem traumatischen Erlebnis ungewöhnlich still ist oder nicht mehr sprechen möchte. Es ist wichtig, mit dem Kind zu sprechen und ihm zu vermitteln, dass es in Ordnung ist, über seine Gefühle und Ängste zu sprechen. Eltern sollten auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, um ihrem Kind zu helfen, das Trauma zu verarbeiten.
Es gibt wohl verschiedene Therapieansätze, die bei Mutismus helfen können, darunter Verhaltenstherapie und Psychotherapie. Die Therapie sollte individuell auf das Kind abgestimmt sein und kann auch andere Familienmitglieder mit einbeziehen. Zusammenfassend ist Mutismus eine Sprechstörung, die durch verschiedene Faktoren, darunter auch Traumata, ausgelöst werden kann. Mit der richtigen Therapie kann das Kind wieder lernen, zu sprechen und ein normales Leben zu führen.
Seelische Traumatisierung als Ursache für Sprechblockaden immer noch Randthema
Zufällig bin ich bei meinen Recherchen über die Seite der „Traumaberatung Leipzig“ gestolpert und habe einen Beitrag gefunden, der betroffene Erwachsene zu Wort kommen lässt und den ich als Lesestoff für Interessierte/Betroffene sehr empfehle:
https://dissoziation-und-trauma.de/sachinfos/mutismus-als-traumafolge
Demnach bestehe unter den Logopäden Einigkeit, daß Mutismus häufig von bestimmten anderen Verhaltensauffälligkeiten begleitet wird, nämlich von Angststörungen, Anpassungsstörungen, Depressionen, Schlaf- und Eßstörungen – ein für Psychotraumafolgen geradezu klassisches Symptomspektrum. Dennoch werden seelische Traumatisierungen als Ursache für die mutistischen Sprechblockaden in den Fachveröffentlichungen allenfalls am Rande erwähnt. Hinweise von Betroffenen waren Anlass, ausdrücklich auf Mutismus und andere Sprechstörungen (wie Stottern) als vermutlich keineswegs so seltene Folge von psychischen Traumatisierungen hinzuweisen.
„Da Mutismus ganz selbstverständlich als Sprach- oder Sprechstörung
https://dissoziation-und-trauma.de/pdf/tbl-mutismus.pdf
aufgefaßt wird, werden betroffene Kinder fast automatisch zur logopädischen
Therapie geschickt. Psychotraumatologische Kenntnisse sind schon unter
PsychotherapeutInnen erst wenig verbreitet, bei LogopädInnen können sie
nicht erwartet werden. […] Hilfe bei PsychotherapeutInnen zu suchen, erscheint
von vornherein wenig erfolgversprechend: dort müßten die Betroffenen ja
sprechen.“
Die Beratungsseite im Mutismus.net schlägt folgende Therapien und -ziele vor:
Eine Therapie, die im Zeitraum von 6 Monaten keine eindrückliche Verbesserung bewirkt, sollte beendet werden; es sollte ein Wechsel der Therapie stattfinden (Prof. M. Doepfner, Uni, Köln, Psychiater für Kinder und Jugendliche).
„Die Zeit meines Schweigens liegt weit zurück und damals hat es überhaupt keine geeignete Therapie gegeben. Dabei ist es so enorm wichtig, den Mutismus rasch zu überwinden. Die Überwindung des Mutismus ist in erster Linie eine Grundsatzentscheidung für das Sprechen, die allerdings sehr schwer ist – das ist der Knackpunkt der Therapie, diese Grundsatzentscheidung zu erreichen – und dann ist es wirklich am Besten, es rasch durchzuziehen. Die Angst kann man nur in den Griff kriegen, indem man sich ihr in ganz kurzen Abständen immer wieder stellt – und ALLE Situationen rasch in Angriff nimmt – sonst bleibt ein Restmutismus noch jahrelang bestehen.“
Eine ehemals mutistische Erwachsene
Das wesentliche Ziel jeder Therapie sollte darin bestehen, das Kind zum Kommunizieren zu führen und zwar nicht nur in der therapeutischen Situation, sondern auch in den alltäglichen, angstbesetzten Situationen.
Da es sich bei Mutismus um eine psycho-soziale Angst, eine komplexe Angststörung mit Verhaltensbesonderheiten handelt, ist die Ausrichtung der Therapie im psychotherapeutischen Bereich zu suchen. Das Fundament einer gelingenden Therapie ist neben fachlicher Kompetenz und Erfahrung des Therapeuten dessen Einfühlungsvermögen in das mutistische Kind. Es sollte dem Kind ein Weg aufgezeigt werden, auf welchem es ohne „Gesichtsverlust“ aus dem Schweigen heraustreten kann. Zielführend ist dabei die gegenseitige Achtung und Wertschätzung.
Laut der Expertengruppe und dem Vorstand der Dt. Ges. f. Kinder- und Jugendpsychatrie und -psychotherapie (Uni.-Prof. R. Castell, Erlangen; Uni.-Prof. M.H. Schmidt, Mannheim; aktualisiert Juni 2000) ist die non-direktive Spieltherapie mit Zurückhaltung zu betrachten. Ausschließlich logopädische/sprachtherapeutische Behandlung ist kontraindiziert.
Die europäische Zulassungsbehörde EMA (European Medicines Agency) hat die Bewertung zu Antidepressiva aus der Gruppe der Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme Inhibitoren (kurz SSRI genannt) und der Noradrenalin-Wiederaufnahme Inhibitoren (NaRI) abgeschlossen.Dazu empfiehlt EMA den Zulassungsbehörden der Mitgliedsländer stärkere Warnhinweise beim Einsatz dieser Psychopharmaka bei Kinder und Jugendlichen zu veranlassen.Daher empfiehlt EMA jetzt, dass detailliert auf das mögliche Risiko von Suizidversuchen (Selbstmordversuche) oder -gedanken oder feindliches Verhalten (Aggression, oppositionelles Verhalten oder Wut) hingewiesen wird. Die deutschen Fachinformationen haben derzeit in der Regel den Hinweis, dass der Einsatz mangels klinischer Erfahrungen unterbleiben sollte. Die Hinweise sollen in den Fachinformationen zu Medikamenten mit den Wirkstoffen Italopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Mianserin, Milnacipran, Mirtazapin, Paroxetin, Reboxetin, Sertralin und Venlafaxin erscheinen.
Mein Fazit:
Also, ich verstehe es so, dass bei Mutismus nicht alleine LogopädInnen zum Einsatz kommen sollten, was man im ersten Moment vielleicht denkt, wenn man etwas über Sprechstörung hört, sondern auch in Erwägung ziehen sollte, dass traumatische Erfahrungen mit begleitenden zusätzlichen Symptomen ursächlich sein können.
Das legt nahe, dass eine übergreifende Therapie individuell gefunden werden muss UND passende TherapeutInnen.
Im Vordergrund steht ein einfühlsames, angstnehmendes und vertrauensbasiertes Umgehen mit dem betroffenen Kind.
Nicht alle angewandten Therapie- und Heilungsformen sind zielführend. Der Behandlung mit Anti-Depressiva ist dringend abzuraten.
Ein Verhalten der Umwelt, das die Ängste des Kindes verstärkt oder wieder hervorruft, kann immer wieder zur Sprachlosigkeit führen. Deshalb ist es wichtig, Informationen über dieses Thema (selektiver) Mutismus und seine Ursachen weiterzugeben, was ich auch mit meinem Blog Lernen geht immer, versuche.
Auch zum Thema : https://astridbartels.de/kinder-mit-fluchterfahrungen-in-doppeltem-sinne-sprachlos/