Es ist zehn Uhr, meine Smartwatch eines bekannten Obstladens gibt Laut. Dudeldudeldudel – eine nette Melodie, wahrscheinlich von einer KI erzeugt, wie auch die Idee, diese so lange abzuspielen, bis ich endlich reagiere. Nein, ich habe mir längst abgewöhnt, die Schlummertaste zu drücken. Ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn mich alle 10 Minuten das Dudeldudeldudel erneut aus dem Koma holt. Ich drücke also Stopp!! und schlafe ersteinmal weiter. Nicht lange, da kommt Taio, mein Katerfreund, und trampelt rücksichtslos auf mir herum. Ich ziehe die Bettdecke über den Kopf und versuche das Tier zu ignorieren, indem ich mich tot stelle. Wie in den Cartoons von Simons´Cat funktioniert das leider nicht und das Trampeln geht weiter. Da bimmelt die Watch zur täglichen Blutzuckermessung – ach, schon 10.30 Uhr? Ein zärtlicher Biss von Taio signalisiert „Ich habe Hunger, steh endlich auf sonst fress´ ich dich!“ Ok, das motiviert und ich überlege, was sonst noch für den Tag ansteht. Ein lautes Piepgeräusch meiner Watch erinnert mich daran, meine Medikamente zu nehmen – Hilfe, schon 10:45 Uhr? Es klingelt an der Tür. Mir fällt ein, dass ich ein Paket erwarte und stürze im Schlafgewand an die Tür. Der Nachbar grienst. So wichtig, sei es doch auch nicht, dass ich mich so abhetze, sagt er. Dankeschön.
In der Küche steht ein krächzendes Ungeheuer vor dem versauten Fressnapf vom Vorabend. Ja, ja ich komme. Fressi in einen neuen Napf – der von gestern ist mir dann erst einmal aus der Hand gefallen, das alte Nassfutter hat sich gleichmäßig auf dem Küchenboden verteilt. „Friss gefälligst das Futter vom Boden.“ Ich vergesse, dass Taio kein Hund ist. Ich nehme Küchenpapier und mache grob sauber – den Rest kann ich nachher aufwischen. Muss sowieso mal wieder putzen, passt. Ich gehe nun erst einmal aufs Klo, Taio will wohl auch. Nein, er steht im Bad und krächzt unüberhörbar „Futter, los.“ Ich beeile mich, schnell wieder in die Küche zu gehen und den Fressnapf aufzufüllen. Ich habe vergessen die Pantoffeln anzuziehen und laufe geradewegs mit nackten Füßen durch die restliche Soße des heruntergefallenen Katzenfutters. Ich rutsche aus, kann mich am Kühlschrank festhalten und Schlimmeres verhindern. Ein Geist in Gestalt meiner verstorbenen Mutter flüstert mir zu: „Hättest du mal gleich alles aufgewischt…“ Ich gehe nun endlich ins Bad. Ich brauche eine feste Routine im Bad.
Ich erspare euch die nachfolgenden Kleinigkeiten und komme zum Kern: Feste Routinen sind hilfreich für ADHS-Betroffene. Das Problem ist, sich daran zu halten. Zeitpläne, Arbeitspläne, Lernpläne, Terminpläne – alles schön und gut. Pläne erstellen kann Spaß machen, sie einhalten grenzt oft an Folter. Was ist, wenn der Hyperfokus die Welt vergessen lässt? Was, wenn etwas vermeintlich Wichtigeres dazwischen kommt? Was, wenn das persönliche Befinden gerade nicht so gut ist? Was, wenn…? Dann verschieben wir eben. Prokrastination ist das Zauberwort. Damit einher gehen schlechtes Gewissen, Magenprobleme und schlechte Stimmung, sogar Wut auf sich selbst. Alles neue Gründe, auch jetzt keine Pläne einzuhalten. Wozu dann das ganze Gedöns mit Apps und Books? Na klar – wir geben die Hoffnung niemals auf. Morgen wird es garantiert besser. Oder Übermorgen. Ich bin da ganz sicher.